CIO-Marktkommentar: Langfristige US-Renditen so interessant wie lange nicht
RBC BlueBay Asset Management
Anleger hoffen darauf, dass die US-Notenbank ihren Zinserhöhungszyklus schneller beenden könnte als gedacht. Sie sollten sich aber nicht zu früh freuen, argumentiert Mark Dowding, Chief Investment Officer bei BlueBay Asset Management, mit Blick auf den nach wie vor engen Arbeitsmarkt.
Hier sein aktueller Marktkommentar:
„Die weltweiten Anleiherenditen sind in der vergangenen Woche weiter gesunken, da die Hoffnung auf eine Abschwächung der Inflation in den USA nach dem Bericht zu den Verbraucherpreisen (VPI) vom vergangenen Donnerstag die Kurse weiter stützte.
Es könnte jedoch etwas verfrüht sein für die Schlussfolgerung, dass die US-Notenbank ihren Zinserhöhungszyklus zu bald beenden wird. Die finanziellen Bedingungen haben sich in der vergangenen Woche merklich entspannt und sind nicht mehr weit von ihrem Stand von Mitte Juni entfernt. Derweil hat sich der Arbeitsmarkt weiter gefestigt. Es besteht das Risiko, dass sich der Lohndruck noch erhöhen könnte – selbst wenn sich das Wachstum verlangsamt und zinssensible Sektoren wie der Wohnungsbau zum Stillstand kommen. Entlassungen im Technologiesektor und schwächere Aussichten für das Baugewerbe deuten darauf hin, dass sich der Arbeitsmarkt in den kommenden Monaten entspannen könnte. Die Zahl der offenen Stellen ist aber laut der jüngsten JOLT-Erhebung (Job Openings and Labor Turnover) noch immer sehr hoch.
Mit Blick auf das Jahr 2023 ist es nicht verwunderlich, dass Anleger mit einer längerfristigen Perspektive zu der Ansicht neigen, dass die Inflation in 12 Monaten gesunken sein wird, die Fed Zinssenkungen in Erwägung zieht und der Krieg in der Ukraine beendet sein könnte. Auf dieser Grundlage können Investment-Grade-Anleihen interessant sein, wenn man zu dem Schluss kommt, dass die Renditen bei längeren Laufzeiten bereits ihren Höhepunkt erreicht haben.
Der Ausblick für Europa ist aber nach wie vor eher trübe. Die Wachstumsaussichten sind weiterhin gedämpft und die Inflationsindikatoren dürften ihren Höhepunkt erst im kommenden Frühjahr erreichen. Vor diesem Hintergrund wird die Europäische Zentralbank (EZB) wahrscheinlich bei einer restriktiven Haltung bleiben. Wir gehen davon aus, dass die Zinssätze bis zum Ende des ersten Quartals im nächsten Jahr auf 2,5 Prozent steigen werden. Dann könnte Hoffnung aufkeimen, dass ein Ende der Zinserhöhungen in den USA möglicherweise auch eine Pause der EZB nach sich zieht.
Bis zu diesem Zeitpunkt scheint EZB-Chefin Christine Lagarde jedoch dazu verdammt zu sein, die Geldpolitik weiter zu straffen – selbst wenn der Rezessionsdruck weiter zunimmt. Wir gehen davon aus, dass die Produktion in der Eurozone im Gesamtjahr leicht zurückgehen wird. Es besteht aber das Risiko eines stärkeren Einbruchs, sollte das Wetter nach einem milden Winterbeginn deutlich kälter werden. In einem solchen Szenario werden alle Augen auf die Energieunternehmen und die damit einhergehende Notwendigkeit gerichtet sein, die Gaslieferungen zu rationieren.
Es wird immer wahrscheinlicher, dass die 10-jährigen US-Renditen ihren Höhepunkt bereits erreicht hatten, als sie im Oktober auf 4,3 Prozent stiegen. Staatsanleihen könnten jetzt nahe am fairen Wert liegen. Wenn der Höhepunkt jedoch wirklich hinter uns liegt, ist es verständlich, dass einige Anleger sich in langfristige Renditen einkaufen wollen. Schließlich sind diese interessant wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr.
Es besteht Grund zur Hoffnung, dass wir uns nach all den Ereignissen im Jahr 2022 endlich dem Punkt nähern, an dem wir das Schlimmste hinter uns haben. Mit etwas Glück wird es in der Geopolitik, bei den makroökonomischen Daten und in der Geldpolitik ruhiger – und wir können unsere Aufmerksamkeit wieder auf alltäglichere Ereignisse richten.“